
Passage der Mittelgebirgsschwelle
Zwei-Flüsse-Tour in die Norddeutsche Tiefebene und eine kulturhistorische Umweltbildungsreise, mitsamt willkommenen Zeitsprüngen.
Bad Oeynhausen - Start der Tour
Dort, wo ich eine der letzten Touren beendet hatte, geht es heute wieder weiter und zwar fängt die Auszeit in Bad Oeynhausen auf der Werre an und endet in Lahde auf der Weser. Die Wettervorhersage von der Wetteronline App klingt vielversprechend; 12 Stunden Sonnenscheindauer, Wind aus WSW mit knapp 15 km/h, also überwiegend von hinten und etwas von links. Um nicht einen der mehreren kostenpflichtigen Parkplätze in Anspruch zu nehmen, stelle ich mein Auto in einem Wohngebiet, in direkter Nähe zum Einstiegsplatz, ab. Bin gespannt, was es heute alles zu entdecken und zu sehen gibt.
Zügig die Prozedur des Herrichten der Ausrüstung durchgeführt, kann es auch schon losgehen. Der Fluss-Charakter wechselt von quirligen Passagen zu ruhigen Räumen. Wie leicht es doch ist, mit dem Rückenwind, das gehen über Wasser zu praktizieren. Ehe man sich versieht, befindet man sich, 3 km nach dem Start, am sogenannten "Werre-Weser-Kuss", dem Ort, an dem sich die beiden Flüsse vereinigen. Am Ufer schwebt auf einer Betonsäule eine Skulptur von einem Flößer. Diese Menschen waren schon vor langer Zeit stehend auf der Weser unterwegs, wenn auch nicht aus Spaß, sondern um wirtschaftlich über die Runden zu kommen. Sie transportierten flussabwärts Baumstämme für den Verkauf und zwar vom Beginn der Weser bei Hann. Münden, wo Werra und Fulda zur Bundeswasserstraße Weser verschmelzen, bis Bremen!
auf der Weser
Flussaufwärts von der Statue lockt, fast schon greifbar nahe, das Café Bistro "Altes Fährhaus" und das Restaurant "WeserHütte". Anlanden und zu Fuß gehend, wären diese auch erreichbar, aber gegen die Strömung der Weser möchte ich nicht ankämpfen und die gute Aussicht mit besonderem Flair, habe ich auf meiner privaten aufblasbaren Miniinsel ohnehin schon.
Ich lasse diesen Ort etwas auf mich wirken und setze den Spaziergang, nun auf dem deutlich breiteren Gewässer, fort.
In dieser Naturkulisse sind heute weit und breit keine Schiffe, Boote oder Ruderer zu sehen. Das erleben der Ruhe in der erwachenden Natur gibt neue innere Kraft. Mit jeder Minute vergrößert sich der Ausblick auf das Wiehengebirge, welches sich im neuen Grün präsentiert. Und die Tatsache, das ganze aus der ersten Reihe sehen zu können, verstärkt mein Grinsen.
Am entfernten Ufer zeigt sich eine Familie Kanadagänse. Die Elterntiere bilden vorne und hinten den Rahmen für die aufgereihten winzigen Küken. Ich halte größtmöglichen Abstand zu den Tieren, um sie nicht zu stressen und bewege mich zügig mit dem Strom und Rückenwind in Richtung dem Tor in die Norddeutsche Tiefebene, der Porta Westfalica. Spätestens jetzt sind die positiven Vibes bei mir angekommen.
Schon von weitem kündigt sich das Tor mit dem Fernsehturm auf dem Jakobsberg an. Kurze Zeit später lässt sich die sehr empfehlenswerte runde Aussichtskanzel am Turm erkennen. Die Luft ist heute besonders klar und somit auch die Fernsicht erfreulicherweise gut.
Kaum jemand ist sich dessen bewusst, dass in diesem Bergeinschnitt des Jakobsberges, während des 2. Weltkrieges, unzählige Menschen unter Tage durch Zwangsarbeit vernichtet wurden, um als Sklaven für die Rüstungsindustrie kriegswichtige Produkte herzustellen. Auch das ist ein unauslöschlicher Teil unserer Geschichte.
Weserdurchbruch
Nach und nach kommen weitere aussichtsreiche touristische Attraktionen, am Grad des Wiehengebirges, zum Vorschein; die Wittekindsburg, der Moltketurm und das Wahrzeichen des Wesertores, das beeindruckende Kaiser-Wilhelm-Denkmal. Diese und weitere Anlaufpunkte auf einer möglichen Wanderung entlang des Hügelkamms, sind durch mehrere parallel verlaufende, angenehme Wanderwege miteinander verbundenen, u.a. durch den Wittekindsweg (benannt nach dem Herzog Widukind).
Warum sich die Menschen Ende des 19. Jahrhunderts diese enorme Mühe gemacht haben, mit weit aus weniger entwickelten technischen Möglichkeiten, das zweithöchste Denkmal in Deutschland zu errichten? Um den Sieg im Deutsch-Französischen Krieg, in Person des Kaisers, zu feiern und damit verbunden die Einigung des Deutschen Reiches zu einem Nationalstaat, als Ablösung der Kleinstaaterei. Ein kolossales Kulturgut.
Mitten im Weserdurchbruch befindet sich rechter Hand, in Form eines hellen Gebäudes, der Bahnhof von Porta Westfalica. Von hier ließe es sich bequem zurück nach Bad Oeynhausen fahren (6 Minuten Fahrzeit). Der Beton-Steg des Wassersportverein Porta eV, in unmittelbarer Nähe, ist perfekt für eine Anlandung. Doch dafür ist es noch zu früh.
Noch mal links und rechts geschaut und schon spült es einen in ein topographisch neues Gebiet. Vor mir die flache Fläche der Norddeutschen Tiefebene, hinter mir das Weserbergland. Die Leeturbulenzen der Höhenzüge tangieren mich nur peripher am Allerwertesten.
Und so setzt sich die endlose Aneinanderreihung von Gelegenheiten, um die Seele baumeln zu lassen, fort, vorbei an der teilweise zurückgebauten eisernen Erzbahnbrücke bei Fluss-km 200, wo definitiv nichts mehr drüber fahren wird, am Pionierübungsplatz der Bundeswehr und den zahlreichen Stätten der Rudervereine.
Sich auch mal die Zeit zu nehmen für einen Rückblick, sorgt für mehr Mehrwert bei der (Lebens-) Reise und erinnert einen, woher man kommt. Hier in diesem Fall auf die Mittelgebirgsschwelle mitsamt dem Tor nach Westfalen. Die zwei aus dem Kamm hervorragenden Bauwerke, der Fernsehturm und das Kaiser-Wilhelm-Denkmal, sind so markant für den Westfälischen Durchbruch (Weserdurchbruch), wie das goldene M für McDonald's.
Minde
Bald darauf nähere ich mich der Kreisstadt Minden. Keine der hier ansässigen Mindener Fahrgastschiffe ist zur Zeit weit und breit zu sehen.
Gemütlich geht es parallel zur Weserpromenade entlang. Die Glacisbrücke, eine moderne Seilhängebrücke mit toller Aussicht, verbindet den kostenlosen Großparkplatz und Festplatz "Kanzlers Weide" rechts der Weser mit der Innenstadt. Die am Westufer liegende nachgebaute und funktionsfähige Schiffsmühle, ist ein technisches Denkmal der Westfälischen Mühlenstraße mit angegliedertem Biergarten. Diese gab es hier einst zahlreich. Mit der aufkommenden Schifffahrt sind diese Mehlfabriken beseitigt worden, da sie hinderlich wurden. Nicht mal Google konnte mir sagen, wann dieses Schiff ablegen wird.
Angeblich hat niemand geringeres, als Kaiser Karl der Große den Stadtnamen Minden besiegelt. Diese ca. 1220 Jahre alte, ehemalige Hansestadt, hat nicht nur für ihre 84000 Einwohner einiges zu bieten. Auch Auswärtige kommen hier auf ihre Kosten. Ob interessierte an wechselvoller Geschichte, Architektur, Gastronomie, einem chilligen Sandstrand und einiges mehr, klar ist, dass es sich an diesem Fleckchen Erde auch gut aushalten lässt.
Heinrich der Löwe wurde hier im Mindener Dom im 12. Jahrhundert getauft. Das Gotteshaus ist von außen mäßig scheinbar, von innen umso beeindruckender. Die benachbarte Ausstellung des Domschatzes Minden, soll ebenfalls ziemlich sehenswert sein.
Nach einigen hundert Metern erscheint die liebevoll restaurierte historische Fischerstadt. Sie ist eine mittelalterliche Vorstadt und Siedlungskern von Minden, mit vorgelagerter hochwasserschützender Stadtmauer. Nicht nur hier hat die Krone der Schöpfung, mit der Hexenverfolgung, dem gegenseitigen abschlachten im Dreißigjährigen Krieg, dem Siebenjährigen Krieg usw., großen leuchtend hellen Geist bewiesen. Wozu sich den Himmel auf Erden erschaffen, wenn man im Jenseits, mit etwas Glück, ins Paradies kommt.
Die nächsten Attraktionen lassen nicht lange auf sich warten. Zum einen eines der wenigen Wasserstraßenkreuze in Alemania und zum anderen die längste künstliche Wasserstraße Deutschlands, nämlich der Mittellandkanal. Der Höhenunterschied zwischen der Weser und den beiden Bauwerken beträgt 13 m. Mehrere Schleusen ermöglichen es, dass die Wasserfahrzeuge zwischen den beiden Wasserstraßen wechseln können.
Pumpwerke sorgen dafür, dass der Wasserpegel im Kanal konstant bleibt. Durch die Schleusung, Verdunstung, Versickerung und die Entnahme durch Landwirtschaft und Industrie, geht ein Teil des Wassers im Kanal verloren und muss aus den Flüssen nachgepumpt werden. Bei einem Überschuss an Wasser durch Niederschläge, gelangt dieses durch eine Turbine aus dem Kanal in den Fluss, wobei Strom erzeugt wird, welcher im Wasserwerk direkt verbraucht wird.
Wasserstraßenkreuz Minden
Das Wasserstraßenkreuz in Minden ist ein technisch-kulturelles Erbe und eine Sehenswürdigkeit. Dieses überdimensionale Aquädukt ist ein beeindruckendes Bauwerk mit Seltenheitswert, toller Aussicht auf die Weser und faszinierender Einsicht in die Konstruktion. Die Kanäle, Hebewerke und Schleusen ermöglichen den Straßenwechsel für den Schiffsverkehr auf Weser und dem Mittellandkanal auf ihren Tourneen querlandein. Eine trogartige, zweigeteilte, breite Wasserbrücke, welche über Wasser führt, ist nicht gerade alltäglich. Vergleichbares findet man nördlich von Magdeburg. Beim Paddeln unter diesem Giganten, fühle ich mich kleiner und demütiger. Selbst mein großes Ego muss hier unter Wasser an der frischen Luft, den Kopf einziehen.
Teilweise stammt die Anlage noch aus der Kaiserzeit. Beeindruckend, was die Menschen damals in der Lage waren zu erschaffen, bedingt durch den Willen die Industrialisierung und den technischen Fortschritt rigoros voranzubringen. Ingenieurskunst par excellence. Ich war zwar nicht am Bau beteiligt gewesen, bin dennoch etwas stolz darauf, der menschlichen Spezies anzugehören, welche so etwas tolles vollbringen kann. Heute geht leider der Trend zur Deindustrialisierung und Fortschrittfeindlichkeit.
Gibt es dagegen nicht auch was von Ratiopharm?
Nördlich vom Wasserstraßenkreuz begegnen mir auch vermehrt Kähne. Eines davon hält geradewegs Kurs auf den Verbindungskanal Nord und gelangt über diesen in die neue Weserschleuse Minden und weiter auf den Mittellandkanal.
Weiter geht es an einer Aussichtsplattform, der Valentinsmühle Todtenhausen und einem Kieswerk vorbei. Übrigens, die Einfahrt zum Baggersee am Kieswerk Petershagen ist für uns Wassersportler, laut der Beschilderung, Tabu.
Ich halte den Kurs in Richtung des Kühlturmes des Steinkohlekraftwerk Heyden in Lahde. Irgendwo vor diesem werde ich an Land gehen.
Das kolossale Steinkohlekraftwerk Heyden ist ein waschechter Bolide bei der Stromproduktion. Die Schornsteinhöhe beträgt 225 m. Bereits in den 1940-ern mussten Zwangsarbeiter bei der Errichtung der Anlage und der Peripherie (Staustufe, Ausbau der Mittelweser) ihre Lebenskraft dafür opfern. Der Tagesverbrauch liegt, laut Wikipedia, bei maximal 7000 Tonnen reiner und sauberster Steinkohle, welche aus der ganzen Welt per Bahn und Schiff angeliefert wird. Lecker, zum Wohl und Prost Mahlzeit. Glücklicherweise habe ich dieses Ungetüm nicht in meiner Stadt steht.
Ankunft in Lahde
Kurz vor dem Campingplatz Lahde, zweigt von der Weser der Schleusenkanal Lahde nach rechts ab. Diesen folge ich für ca. 1000 m und gehe rechter Hand an der Brücke an Land.
Gewiss ließe es sich weiter auf der Weser paddelnd, am Stauwehr Petershagen an Land gehen, doch dann wäre der Fußmarsch zum Bahnhof etwas länger.
Ich packe zusammen und renne die 2 km zum Bahnhof, um nicht den Schienenersatzbus zu verpassen und auf den nächsten warten zu müssen. Die App der Deutschen Bahn "DB Navigator" verrät die Abfahrtszeiten. An den Blicken der Menschen, welche mir dort auf dem Weg begegnen, erkenne ich Erstaunen. Kein Wunder, denn wann sieht man schon einen Typen im signalfarbenem Trockenanzug, in Stiefelchen mit riesigem Rucksack, wie auf der Flucht vor einer Zombiehorde durch den verschlafenen Ort rennen, als gäbe es keinen Morgen mehr. Auch mir ist das nicht angenehm, aber immerhin werde ich diesen Menschen wohl kaum ein weiteres Mal im Leben begegnen, was meine Verlegenheit mindert.
Meine Eile war dann doch nicht nötig, weil der Bus sich verspätet.
Bald darauf spuckt mich dieser vor dem 1848 eröffneten Bahnhof Minden aus. Es ist ein nettes denkmalgeschütztes Bahnhofsgebäude, welches im romantischen Baustil errichtet wurde, also mit den Elementen Türmchen und Zinnen.
Kaum hat sich der Zug in Bewegung gesetzt, geht es nach wenigen Minuten durch die Porta Westfalica und die Ankunft in Bad Oeynhausen lässt nicht lange auf sich warten. Auf dem kurzen Weg zum Auto, etwas durch den Sielpark gegangen und schon kann es nach Hause rollen. Die Zeit verfliegt, wie vorgespult, sodass auch dieses Micro-Abenteuer nun mal irgendwann zu enden hat.
Mein zufriedenes Fazit: Ja, das war erneut eine weitere einprägsame Heimaterkundung und ein schöner Flusstrip auf der Sportstätte Werre und Weser. Eine Wiederholung ist sehr wahrscheinlich.
Summa Summarum
Wie oft habt ihr euch schon gefragt, wie lange es dauert die 28 km von Bad Oeynhausen nach Lahde zu Paddeln? Wahrscheinlich nie. Dennoch hier die Antwort: 4,25 Std.
Laut der Runtastic App, habe ich während dessen 1756 kcal verbraucht. Jedoch ist dabei die Hilfe vom Rückenwind und die der Flussströmung nicht mit eingerechnet. Damit dürfte der tatsächliche Energieaufwand deutlich geringer ausfallen. Grundsätzlich also kein Grund das Abendessen in Völlerei ausarten zu lassen, es ist aber auch nicht verboten .
Und war das alles zu Trivial? Mir egal :-)
Startpunkt: Bad Oeynhausen, Fußgängerbrücke über Werre
Hinweise & Tipps: Siehe Tour- und Spotbeschreibung
Info zu Transfer zwischen Start- und Endpunkt: Bequem und günstig per Bahn.
Pausenmöglichkeiten:
Gefahren: Schiffsverkehr
Eigenschaften: Fluss, Sightseeing, Wanderfluss
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Comments (1)
Sehr amüsant und unterhaltend geschrieben.Mußte einigemale grinsen.Werde 100% nachpaddeln👍🤙😃